Inhaltsverzeichnis
Start: Tyinkrysset
Ende: Randsverk
Distanz Abschnitt: 102,8 km
Wandertage: 5,5
Gesamtstrecke: 389,2 km
Tag 29: Anreise nach Tyinkrysset
13.06.2022
Endlich sind die verordneten zehn Tage Ruhe vorbei. Als wir im Bus nach Tyinkrysset sitzen, wird die Vorfreude immer größer. Um uns herum wird es langsam wieder einsamer. Neben der Freude, dass es nun weitergeht, mischen sich aber auch Skepsis und Bedenken. Was, wenn das Knie nicht mitmacht? Völlig schmerzfrei ist es nicht. Und in Jotunheimen warten eine Menge Höhenmeter auf uns.
Manuel und ich sprechen kurz über das Thema und sind uns einig, dass kürzere Etappen im ersten Schritt wohl eine Idee wären und falls das auch nicht ginge müssten wir wohl nochmal umplanen. Darauf habe ich wenig Lust. So hatte ich mir die Fernwanderung nicht vorgestellt. Aber warten wir erstmal ab.
Wanderluxus und Begleitung durch Jotunheimen
In Tyinkrysset treffen wir auch Boris, der am Vortag aus Deutschland angereist ist und uns eine Woche lang begleiten wird. Wir freuen uns beide auf seine Gesellschaft! Boris bringt uns auch ein neues Paar Schuhe mit, die wir aufgrund unserer Zwangspause eigentlich jetzt noch gar nicht brauchen. Naja, zum Glück sind die leichten Barfußschuhe nicht so schwer wie Wanderstiefel und so haben wir im Zweifel ein trockenes Paar dabei. Das ist ziemlicher Wandererluxus!
Tag 30: Tyinkrysset – Fondsbu
14.06.2022 | 22,1 km
Unsere Wanderung beginnt auf einer Straße, die fünf Kilometer hinauf zum Tyin-See führt. Ein paar wenige Autos fahren hier. Aber an der Abzweigung zum Tyin ist ein Schlagbaum, der immer noch geschlossen ist. Damit ist unser weiterer Weg autofrei. Unser Gastgeber von letzter Nacht hatte uns schon gesagt, dass die Straße noch nicht wieder geöffnet ist. Und wenn wir uns so umsehen, können wir verstehen, warum das so ist. Der Tyin liegt mit dicken Eisschollen bedeckt vor uns. Es weht ein kalter Wind und auch die Hänge am Westufer sehen noch schneebedeckt aus. Gut, dass wir das Ostufer nehmen.
Schotterstraßenromantik und ein unkonventioneller Zeltplatz
Die Schotterstraße ist bereits schneefrei und wir kommen gut voran. Nur das Wetter ist nasskalt. Da Boris Bus erst gegen Mittag angekommen ist, starten wir erst um 14 Uhr. Nach 22 Kilometern finden wir kurz vor Fondsbu einen Zeltplatz direkt an der Straße. Direkt in Sichtweite stehen einige Hütten, aber um diese Jahreszeit ist noch niemand da. Dafür ist die Sicht super, wir können zurück zum Tyin und nach vorne zum Bygdin schauen.
Beim Abendessen habe ich vielleicht etwas zu lange draußen gesessen und bin total ausgekühlt. Keine gute Idee, jetzt ins Bett zu gehen. Ich versuche mich noch kurz mit ein paar Armkreisen aufzuwärmen, dann entscheide ich mich doch für das warme Bett. Dort liege ich noch zwei Stunden wach, bis mein Körper endlich wieder warm wird.
Tag 31: Fondsbu – Gjendebu
15.06.2022 | 18,0 km
Am nächsten Morgen lacht die Sonne! Wie viel schöner die Berge im Licht wirken. Wir brechen auf, kommen aber nicht weit. In Fondsbu begegnen wir der Statue von Aasmund Olavsson Vinje, einem Pionier des norwegischen Bergtourismus. Er hat hier eine Berghütte gebaut. Wir schauen uns die Vinjebu gleich an, leider nur von außen, denn wir finden sie verschlossen vor. Aber jetzt haben wir schon eine Weile herumgetrödelt und es wird Zeit aufzubrechen.
Die ersten Kilometer laufen wir am See entlang, der uns ein fantastisches Panorama bietet. Doch plötzlich sind überall Heerscharen von Mücken. Sie stechen zwar nicht, aber sie sind wirklich lästig. Wir denken daran, dass uns die Mücken in Zukunft wohl regelmäßig begleiten werden. Gut, dass wir bisher so wenige Begegnungen mit ihnen hatten.
Ist die Sommerbrücke schon da?
Nach einer Weile biegt der Weg ab und schlängelt sich den Berg hinauf. Wir sehen einen reißenden Fluss den Hang hinunterfließen. Den müssen wir überqueren. Unten, kurz vor dem See, ist eine Brücke. Weiter oben soll es auch eine geben. Bei ut.no war sie als Sommerbrücke gekennzeichnet. Bei meinen Recherchen bin ich auch auf eine Liste der Brücken beim DNT gestoßen. Danach wurde bisher keine einzige Sommerbrücke wieder aufgebaut. Die vor uns liegende Øvre Høystakka Brücke ist dort aber als Ganzjahresbrücke gekennzeichnet. Leider sind die digitalen Informationen immer schlecht gepflegt und manchmal sogar widersprüchlich zwischen dem, was man bei ut.no und beim DNT findet. Dabei sind solche Informationen für uns natürlich sehr wichtig!
Die Brücke ist am Ende da und leicht passierbar. Sogar Lando kann sie problemlos überqueren. Und außerdem sieht sie tatsächlich eher aus wie eine ganzjährige Brücke. Eins zu Null für den DNT. Weiter geht es durch den Sattel auf ein Plateau. Wir haben schon geahnt, dass uns hier Schnee erwartet, aber dass es so viel ist, überrascht uns doch. Vor uns liegt eine fast geschlossene Schneedecke. Aber die Wegmarkierungen sind sichtbar und so machen wir uns auf den Weg. Immer wieder sinken wir bis zu den Knien ein. Zwischendurch trägt der Schnee wieder. Wir wechseln uns beim Spuren ab, denn das ist wirklich anstrengend. Das Nachlaufen ist dagegen viel leichter.
Schnee und kein Ende in Sicht
Obwohl es nur etwa fünf Kilometer sind, zieht sich der Schnee endlos hin. Mitten im Schnee entdecken wir auch den Holzpfahl, der die Grenze zum Nationalpark Jotunheimen markiert. Als der Schnee endlich weniger wird, sind wir erleichtert. Wenig später geht es wieder hinunter ins Tal und wir haben den ersten Blick auf den See Gjende. Wir kennen ihn schon vom letzten Jahr, aber vom anderen Ufer aus: Damals sind wir über die Knutshøe gelaufen. Auf dem Weg nach Gjendebu treffen wir die ersten Leute, was in uns die Hoffnung weckt, die Hütte offen vorzufinden.
Und tatsächlich: ein Trupp DNT-Freiwilliger ist vor Ort. Stolz erzählen uns zwei Frauen, dass sie heute eine Sommerbrücke aufgebaut haben, und einige andere haben auf dem vor uns liegenden Steilstück des Bukkelægret Schnee geschaufelt. Draußen sind drei ältere Männer dabei, die Hütte zu streichen. Wir melden uns an der Rezeption und bekommen ein Zimmer. Heute gibt es sogar Strom und eine Dusche. Nur das Abendessen haben wir verpasst. Da wir auf all das hier nicht vorbereitet waren, freuen wir uns und lassen den Abend gemütlich am Kaminfeuer ausklingen.
Tag 32: Gjendebu – Memurubu
16.06.2022 | 11,3 km
Wow, was haben wir für ein Glück mit dem Wetter. Am Morgen weckt uns die Sonne. Dunkel wird es im Moment sowieso nicht und so steht die Sonne heute schon ziemlich hoch. Wir genießen das Frühstück in der Hütte, die um diese Zeit noch recht verschlafen wirkt und dann geht es los. Nach zwei Kilometern am See entlang erwartet uns heute ein steiler Anstieg. An der Rezeption erkundigen wir uns noch einmal nach den Schneeverhältnissen, dann brechen wir auf.
Der Aufstieg hat es in sich: auf einem Kilometer Weg sind etwa 500 Höhenmeter zu überwinden. Wir finden mehrere mit Seilen gesicherte Abschnitte. Immer wieder müssen wir Lando helfen, die großen Stufen hinaufzukommen. Das dauert lange und ist kräftezehrend. Am Ende brauchen wir fast drei Stunden, aber dann sind wir oben. Jetzt ist erst einmal Pause angesagt. Dabei lassen wir uns das Lunchpaket schmecken, das wir uns in der Hütte für unterwegs gemacht haben.
Einsame Wanderung durch imposante Landschaft
Dann geht es sanft über die Berge mit herrlicher Aussicht weit in den Nationalpark Jotunheimen hinein. Wir staunen über die vielen Gletscher, die wir sehen, über die imposanten Berge und natürlich immer wieder über den Blick hinunter zum Gjende. Auch der Besseggengrat, den wir am nächsten Tag überqueren wollen, ist schon zu sehen. Zwischendurch überholt uns eine Trailrunnerin. Sie ist die einzige, der wir heute begegnen. Beim Abstieg überqueren wir einige steile Schneefelder, von denen wir einige kurzerhand auf dem Hintern hinunterrutschen. Das schont zwar die Knie, aber der Schnee schaufelt sich in meine kurze Hose und so geht es mit extra kalten Oberschenkelrückseiten weiter.
Schon von weitem sehen wir auch die Memurubu-Hütte. Malerisch im Tal gelegen, sieht sie von oben absolut idyllisch aus. Und bewegt sich da nicht etwas? Offiziell ist auch diese Hütte noch geschlossen, aber nachdem wir ein Quad fahren sehen, sind wir fest entschlossen, heute noch einmal ein Bett zu finden. Und tatsächlich kommen wir sogar gerade noch rechtzeitig zum Abendessen. Was für ein Glück. Während Manuel und ich uns schon den zweiten Teller Fleischklößchen mit Kartoffeln und Gemüse reinschaufeln, schaut Boris etwas ungläubig. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass wir besonders schnell oder viel essen. Aber sein Teller ist noch halb voll.
Tag 33: Besseggen
17.06.2022 | 14,6 km
Ausgerechnet für unsere Tour auf den Besseggen ist Regen angesagt. Mit Rucksack und Hund bei schlechtem Wetter auf den Grat zu gehen, erscheint uns zu gefährlich, daher planen wir um. Die Rucksäcke bleiben heute stehen und Lando bekommt einen Ruhetag auf der Hütte. Um zehn Uhr fahren wir mit dem Boot nach Gjendesheim und laufen von dort zurück nach Memurubu. Unser ursprünglich geplanter weiterer Weg durch Jotunheimen muss dadurch zwar etwas geändert werden, aber wir liegen immer noch im Zeitplan. Denn Boris muss ein paar Tage später wieder an einer Bushaltestelle sein, um die Heimreise anzutreten.
Aber zuerst geht es über den Besseggen. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht so ganz, warum die Norweger so verrückt darauf sind, ausgerechnet über diesen Grat zu wandern. Der Weg am Vortag war definitiv abwechslungsreicher und hatte genauso tolle Ausblicke. Auch der Weg über die Knutshøe hat uns letztes Jahr besser gefallen, aber wir sind der Meinung, dass er technisch anspruchsvoller ist als der Besseggengrat. Heute geht es hauptsächlich über Schotter und karges Gelände. Ein kurzes steiles Stück erwartet uns, aber alles in allem nichts besonders ausgesetztes.
Besseggen-Patroul: die Bergwacht ist heute auch dabei
Unterhalb der schwierigsten Stelle des Abstiegs (wenn man umgekehrt geht vor dem Aufstieg) sitzt ein Mann mit einer Jacke mit der Aufschrift „Besseggen-Patroul“. Wir sprechen ihn an und erfahren, dass er den ganzen Tag die Wanderer beobachtet und diejenigen, die in Panik geraten, durch das steile Stück führt. Er erklärt uns auch, dass es vor allem Norweger sind, die sich überschätzen und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „there is no human right to hike Besseggen“.
Langsam trübt sich das Wetter ein und wenig später beginnt es zu regnen. Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. In Memurubu angekommen, eröffnet der Koch beim Abendessen offiziell die Saison. Wir sitzen mit einem finnischen Paar am Tisch und unterhalten uns bestens. Die beiden haben wir heute auf unserer Wanderung schon mehrmals gesehen. Nebenbei erfahren wir, dass am nächsten Tag das Besseggenrennen startet. Es gibt echt verrückte Leute, die über den Grat joggen, die Bestzeit liegt bei 1:15h. Wir dagegen waren insgesamt etwas mehr als sieben Stunden unterwegs.
Tag 34: Memurubu – Glitterheim
18.06.2022 | 20,1 km
Den Start des Amateurrennens um neun Uhr am nächsten Morgen wollen wir uns nicht entgehen lassen. Wir sind immer noch erstaunt, auf was für Ideen man so kommen kann. Dann geht es auch für uns wieder bergauf Richtung Besseggen. Doch schon nach etwas mehr als einem Kilometer biegt unser Weg nach Glitterheim ab. Gerade rechtzeitig, denn das Boot aus Gjendesheim hat eine Menge Wanderer ausgespuckt, die hinter uns den Berg hinaufklettern.
Magisches Jotunheimen
Wieder öffnet sich ein atemberaubender Blick vor uns. Der See Russvatnet liegt vor uns. Jotunheimen ist einfach zauberhaft. Wohin man auch schaut, es ist einfach nur schön! Aber ein eisiger Wind begleitet uns heute auch. Wenigstens kommt er von hinten. Der See liegt eine ganze Weile zu unserer Rechten und das türkisblaue Wasser zieht unsere Blicke auf sich. Hier und da grast eine Rentierherde. In diesem Teil von Jotunheimen handelt es sich jedoch um domestizierte und nicht um wild lebende Rentiere.
Vor Glitterheim wird es noch einmal ungemütlich. Wir durchqueren einen Sattel, der von einem riesigen Schneefeld bedeckt ist. Auf den ersten hundert Metern ist der Schnee bereits so stark geschmolzen, dass wir mehr oder weniger durch Eiswasser laufen. Mit nassen Füßen geht es weiter bergauf. Fußspuren weisen uns den Weg, doch plötzlich zieht es um uns herum zu. Innerhalb weniger Minuten schlägt das Wetter von Sonnenschein in einen kleinen Schneesturm um. Wir ziehen uns schnell etwas über und beeilen uns beim Abstieg zur Hütte.
Tag 35: Glitterheim – Zeltplatz vor Randsverk
19.06.2022 | 24,5 km
Der Weg aus Jotunheimen heraus ist dann wieder einfacher. Ab Glitterheim folgen wir der Schotterstraße. Die ersten acht Kilometer hätten wir auch mit dem Fahrrad zurücklegen können, man kann sogar Anhänger für Gepäck oder Vierbeiner mieten. Aber wir wollen laufen!
In der Ferne erblicken wir schon die nächsten hohen Berge: die Gipfel des Rondane Nationalparks. Während wir etwas traurig die grandiose Landschaft von Jotunheimen hinter uns lassen, können wir schon vor uns erblicken, was uns als nächstes erwartet. Das ist das Besondere an einer solchen Fernwanderung!
Gerade als wir eine Pause einlegen wollen, entdecken wir zufällig eine kleine unverschlossene Hütte am Wegesrand. Wir öffnen die Tür und stellen fest, dass wir in der Heranosbua gelandet sind, die man über inatur.no buchen kann. Wir wollen aber nur eine kurze Pause machen und ziehen daher bald weiter.
Am Abend sind unsere Füße richtig müde von dem groben Schotter, auf dem wir den ganzen Tag gelaufen sind. Die Barfußschuhe waren heute definitiv nicht das komfortabelste Schuhwerk. Abseits der Straße finden wir einen wunderschönen Zeltplatz und lassen den letzten gemeinsamen Abend mit Boris am Lagerfeuer ausklingen. Das Feuer ist nicht nur gemütlich, sondern vertreibt auch die Mücken, die an diesem Abend auch stechen.
Tag 36: Abschied in Randsverk
20.06.2022 | 6,7 km
Am nächsten Tag verabschieden wir uns nach den ersten sieben Kilometern in Randsverk von Boris: schön war’s, gemeinsam den Jotunheimen Nationalpark unsicher zu machen! Während Boris den Bus nimmt, kaufen wir auf dem nahe gelegenen Campingplatz ein Eis und wandern dann weiter in der heute gnadenlos brennenden Sonne. Wir brauchen noch zwei Tage bis Otta, wo wir einen Ruhetag einlegen. Aber dazu mehr im nächsten Artikel!
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